Verbraucherschützer gegen Wunderheiler

Andreas Kalcker und die gefährliche Chlordioxid-Mär

Aktiv für Chlordioxid: Andreas Kalcker blickt nachdenklich vom Cover seines Buchs – und einladend auf einer Comusav-Konferenz im Mai 2021. (Screenshot: MedWatch)
Aktiv für Chlordioxid: Andreas Kalcker blickt nachdenklich vom Cover seines Buchs – und einladend auf einer Comusav-Konferenz im Mai 2021. (Screenshot: MedWatch)

25.08.2021

 

Es heile nicht nur Krebs oder Malaria, sondern wirke auch effektiv gegen Covid-19: Andreas Kalcker wirbt für MMS, auch Chlordioxid oder CDS genannt. Hinter ihm steht Ex-Scientology-Mann Jim Humble und seine neue Kirche. Auch ein umstrittener Ärzte-Verbund aus Südamerika preist das Wunderwasser an – mit gesundheitsgefährlichen Folgen.

 

 

Auf dem Kongress „Spirit of Health“ im Berliner Maritim Hotel war er der heimliche Star: Andreas Kalcker. Der Mann, der mal „Dr.“, mal “forschender Biophysiker genannt wird, warb auf der Tagung im März 2018 eloquent für die Wirkung des angeblichen Wundermittels Mineral Miracle Supplement (MMS). Dies helfe gegen eigentlich jedes Leiden. Malaria, Alzheimer. Egal. Krebs sei keine tödliche Erkrankung mehr.

 

 

 

 

Begründet wurde der MMS-Mythos durch den Amerikaner Jim Humble, der Mitglied von Scientology war und offiziell zu der Tagung für „alternative Heilmethoden“ in das Berliner Hotel geladen hatte. 2010 hat Humble die „Genesis II Church of Health & Healing“ gegründet und sich zu deren Bischof ernannt. In der Öffentlichkeit zeigt er sich seither meist weiß gekleidet, einzig ein türkisfarbener Stein in Form eines Tropfens ziert seinen Cowboyhut.

 

 

Humble machte MMS kurzerhand zum „heiligen Sakrament”, geeignete Interessierte wurden in seinem kalifornischen Ressort in der Vermarktung der Wunder-Flüssigkeit geschult und zu „Gesundheitsministern“ ernannt.

 

 

Der Humble-Vertraute Mark Grenon soll etwa gemeinsam mit seinen Söhnen monatlich rund 30.000 Dollar mit dem Verkauf verschiedenster MMS-Produkte verdient haben, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. In Zeiten von Corona hätten die Grenons die Einnahmen sogar verdreifachen können, schreibt die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA.

 

 

Mittlerweile stünden die Vier wegen des betrügerischen Marketings und Vertriebs von MMS-Produkten in den USA vor Gericht, schreibt Bloomberg. Laut der Agentur drohen ihnen bis zu 17,5 Jahre Gefängnis. So habe es in den USA laut FDA allein zwischen 2014 bis 2019 insgesamt 16.000 Fälle von Chlordioxid-Vergiftungen gegeben. Unter diesen Fällen sind auch 2.500 Kinder unter zwölf Jahren. Ob diese Vergiftungen alle mit der bewussten Verabreichung von CDL in Zusammenhang standen, wird nicht weiter ausgeführt.

 

 

 

Chlordioxid: Kalcker tourt um die Welt

 

 

Auch Andreas Kalcker ist ein sehr aktiver Botschafter von Humbles Lehre. Seine Bücher erscheinen in dessen Verlag, Kalckers Videos wurden und werden in den sozialen Medien vielfach geteilt. Auf seiner Website behauptet Kalcker seit geraumer Zeit, Chlordioxid „rette Leben“ und helfe effektiv Covid-19-Patienten.

 

So veröffentlicht er hier mehrere Studien, die die Wirkung von Chlordioxid gegen Covid-19 belegen sollen. Allerdings sind die Aussagen dieser Studien zweifelhaft. Die jüngste Arbeit aus August 2021 etwa wurde nicht in einem seriösen wissenschaftlichen Fachmagazin veröffentlicht, das auf die Einhaltung wissenschaftlicher Standards achtet. Die Arbeit ist in einem unbekannten Verlag erschienen, der vorgibt, die „führende internationale Zeitschrift für die Veröffentlichung neuer Ideen“ zu sein.

 

Rückwirkend sollen die Krankenakten von mehr als 1.000 Menschen „aus verschiedenen Städten in Mexiko angeschaut worden sein. Sie sollen nicht an Covid-19 erkrankt gewesen sein, aber eine Person aus ihrem Haushalt. Den nicht an Covid-Erkrankten habe mein 14 Tage lang eine Chlordioxid-Lösung gegeben. Waren sie danach immer noch nicht an Covid-19 erkrankt, galten sie als „gesund“. Die Autoren schreiben im Kleingedruckten selbst, die Studie habe einige Einschränkungen, so könne die „Wirksamkeit von Chlordioxid“ nicht nachgewiesen werden. Denn es...

 

…unterzogen sich viele Angehörige aufgrund der wirtschaftlichen Situation und der hohen Kosten in Mexiko keinen diagnostischen oder bestätigenden Tests für SARS-Cov-2. Daher war es unmöglich, eine Erkrankung mit Sicherheit festzustellen.

 

Eine Studie aus Ecuador, die Kalcker im vergangenen Jahr benannt hatte, fiel ebenfalls in der fachlichen Analyse schnell wegen zahlreicher Ungereimtheiten auf. Auch diese Arbeit nutzte Kalcker aber, um eine angebliche Wirkung von Chlordioxid gegen Corona zu behaupten. Die Faktenchecker von Correctiv und des spanischen Magazins Maldita berichteten. So gab es etwa auch hier keine Kontrollgruppe und die Auswahl der Probanden war willkürlich erfolgt.

 

 

 

Die Verbraucherzentrale NRW warnt

 

 

Dessen ungeachtet tourt Kalcker als Vortragsreisender um die Welt, nicht nur in Deutschland wirbt er für den Einsatz von Chlordioxid: „Unzählige Bilder und Videos zeigen Kalcker, wie er in Südamerika Professoren und Behörden seine angeblich wissenschaftlichen Erkenntnisse präsentiert“, schreiben Journalisten des Schweizer Magazins Beobachter. Kalcker, gebürtiger Wuppertaler, lebt derzeit im St. Galler Rheintal in der Schweiz.

 

 

Die Verbraucherzentrale NRW hat sich die Aktivitäten Kalckers genauer angesehen. Über seine Webseite verbreite er „irreführende und gefährliche Informationen über die Chemikalie Natriumchlorit, die in aktivierter Form zum giftigen und ätzenden Chlordioxid wird“, schreiben uns die Verbraucherschützer.

 

Auf der Webseite Kalckers „werden unter einem pseudo-wissenschaftlichen Deckmantel falsche und irreführende Behauptungen aufgestellt, fragwürdige Studien zitiert und Verschwörungen verbreitet“, kritisiert auch das Projekt Faktencheck-Gesundheitswerbung der Verbraucherzentralen NRW und Rheinland-Pfalz gegenüber MedWatch. „Die Seite hat zudem kein Impressum und verstößt damit gegen die Transparenzpflicht im Telemediengesetz.“

 

 

Die Verbraucherzentrale NRW hat versucht, gegen Kalcker vorzugehen, um Verbraucher vor Schäden zu schützen. Doch Kalcker lebe in der Schweiz, daher seien die dortigen Behörden gefragt. „Wir würden uns freuen, wenn die dortigen Überwachungsbehörden nach schweizerischem Recht tätig würden und gegebenenfalls Unterlassungsansprüche vor Ort gegen Herrn Kalcker durchsetzen. Solche Webseiten sind von überall abrufbar, und Verbraucherschutz sollte bei klaren Verstößen idealerweise grenzübergreifend möglich sein.“ Der Konsumentenschutz in der Schweiz wurde angeschrieben, bisher ohne Erfolg.