Chlordioxid gegen autismus verkauft

MMS: Arzt Lutz R. zu hoher Geldstrafe verurteilt

 MMS verkauft: Arzt Lutz R. aus Thüringen musste sich vor einem Berufsgericht verantworten. Screenshot: MedWatch MMS verkauft: Arzt Lutz R. aus Thüringen musste sich vor einem Berufsgericht verantworten. Screenshot: MedWatch
MMS verkauft: Arzt Lutz R. aus Thüringen musste sich vor einem Berufsgericht verantworten. Screenshot: MedWatch MMS verkauft: Arzt Lutz R. aus Thüringen musste sich vor einem Berufsgericht verantworten. Screenshot: MedWatch

11.05.2022 von Nicola Kuhrt,

 

Vor vier Jahren hat MedWatch gemeinsam mit dem ARD-Magazin „Kontraste“ in Sachen Miracle Mineral Supplement (MMS) recherchiert. Ein Investigativteam war bei Lutz R., einem Arzt mit Praxis in Thüringen. Dieser empfahl Darmeinläufe mit dem vermeintlichen Wundermittel bei einem Kind. Er verkaufte das Mittel, das eigentlich eine ätzende Chlorbleiche ist, gleich in seiner Praxis. Der Fall landete vor dem Berufsgericht.

 

 

„Sie werden MMS-Patienten, sie werden nämlich Einläufe machen“, sagte Lutz R. Er empfahl dabei nicht nur das vermeintliche Wundermittel, das der Amerikaner und Ex-Scientologe Jim Humble zur Behandlung praktisch aller Krankheiten anpreist. MMS – die Abkürzung steht für „Miracle Mineral Supplement“ – wird seit vielen Jahren auch in Deutschland beworben, wobei die zuständigen Bundesoberbehörden deutlich vor dem Bleich- und Desinfektionsmittel warnen: Es handelt sich um ätzendes Chlordioxid.

 

 

Lutz R. verkaufte der Patientin MMS direkt in seiner Praxis. Die Mutter solle ihrem Sohn – der unter Autismus leide – regelmäßig Darmeinläufe mit MMS machen. Er habe gute Erfahrungen bei einem anderen Jungen gemacht. „Er ist dadurch kindergartenfähig geworden“, sagte Lutz R. Und: „Lassen Sie es langsam reinlaufen, dann ist das drin, und dann kommt das wieder raus, und der Wirkstoff ist drin.“

 

 

Arzt verkauft MMS: Einmaliger Verstoß?

 

Ein Investigativteam des ARD Magazins „Kontraste“ und MedWatchs hatte den geschilderten Fall im April 2018 recherchiert und dokumentiert. Der Allgemeinmediziner hatte schon früher in einem Vortrag erklärt, gute Erfolge mit MMS gemacht zu haben. Die Staatsanwaltschaft Erfurt hatte in Folge der Recherchen Ermittlungen gegen Lutz R. aufgenommen.

 

 

„Lassen Sie es langsam reinlaufen”: Arzt Lutz R. im Beitrag von Kontraste. (Screenshot: MedWatch)

 

 

 

Diese Ermittlungen wurden zwar wieder eingestellt, da keine „konkreten und verfolgbaren Straftaten nachweisbar“ seien, doch die Ärztekammer prüfte den Fall und überwies ihn an das Berufsgericht Meiningen. Hier wurde nun – gut vier Jahre nach dem eigentlichen MMS-Verkauf – ein Urteil gefällt. In Thüringen ist das Berufsgericht für Heilberufe beim Verwaltungsgericht Meiningen angesiedelt.

 

„Der Arzt ist vorliegend berufsgerichtlich, nicht strafgerichtlich verurteilt worden“, erklärt eine Sprecherin gegenüber MedWatch. „Verhandelt wurde ein einmaliger Berufsrechtsverstoß, für den er sich geständig und reuig“ gezeigt habe. Lutz R. habe sich in der Folge zu einem erheblichen Teil aus der ärztlichen Tätigkeit zurückgezogen, seine Praxis führe er nicht mehr.

 

Die Approbation sei ihm unter diesen Umständen nicht entzogen worden. „Nicht alle Pflichtverstöße eines Arztes führen zu approbationsrechtlichen Maßnahmen bis hin zum dauerhaften Berufsverbot“, erklärt die Sprecherin.

 

Approbationsrechtliche Eingriffe seien schwerwiegendste Eingriffe in die ärztliche Berufsfreiheit. Diese sei auch bei Ärzten durch Artikel 12 Grundgesetz geschützt. Approbationsrechtliche Maßnahmen dürften deshalb nur bei besonders gravierenden, in aller Regel zugleich strafrechtlich besonders relevanten Pflichtverletzungen wie zum Beispiel Kapitalverbrechen erfolgen.

 

 

Lutz R.: Praxis aufgegeben

 

Die Landesärztekammer Thüringen bestätigte gegenüber MedWatch die Entscheidung. Zu weiteren Details wollte sich die Kammer nicht äußern.

 

Es lässt sich diskutieren, weshalb die ärztliche Empfehlung, einem Kind tägliche Darmeinläufe mit einem ätzenden Mittel wie MMS zu verabreichen, verwaltungsjuristisch nicht als eine „besonders relevante Pflichtverletzung“ eingestuft werden.